Abgeordnetenspalte:
100 Tage

27. August 2021

Dieser Text erschien am 21. August 2021 im Schwäbischen Tagblatt in der Rubrik “Abgeordnetenspalte”.


In den Landtag einzuziehen, das bringt viele erste Male mit sich: das erste Mal Plenum, die erste Rede, die ersten Anträge und Gesetzentwürfe. Und obwohl es immer noch einige erste Male für mich geben wird, wurde eine wichtige Wegmarke dieser Legislaturperiode bereits genommen: Am 20. August war Grün-Schwarz genau 100 Tage im Amt. Vom großen Aufbruch zum Start dieser Landesregierung ist nichts zu spüren: Beim Klimaschutz geht wenig voran. Ob das Land Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen soll, darüber bricht erst einmal Koalitionsstreit aus. Die Defizite im Corona-Management der Landesregierung sind offenkundig. Weil das Parlament vor der Ministerpräsidentenkonferenz mitreden muss, habe ich Anfang August mit der FDP eine Sondersitzung des Sozialausschusses durchgesetzt. Angesichts der aktuell wieder steigenden Infektionszahlen durch Urlaubsrückkehrer*innen und der im Land noch immer nicht zufrieden stellenden Impfquote habe ich kein Verständnis dafür, dass  die Landesregierung plant Kontaktnachverfolgungen abzuschaffen. Diese sind ein wichtiges Mittel der Pandemiebekämpfung, der Aufwand ist dank der weit verbreiteten Apps überschaubar. Für zusätzliche Staatssekretärsposten ist in der Landeskasse Geld da, für Luftfilter in jedem Klassenzimmer nicht. Und dass sich so viele grüne Abgeordnete bei der Frage enthalten, ob ein AfD-Mann ins Verfassungsgericht gehört, schockiert mich immer noch.    


Vielleicht bin ich mit zu viel Enthusiasmus und Idealismus in die Landespolitik gestartet. Inzwischen hat bei mir Ernüchterung eingesetzt. Denn Baden-Württemberg bräuchte dringend eine Regierung des Fortschritts, die wichtige Reformen endlich anpackt.   


Corona, Klimakrise, Hochwasser, Afghanistan. Eine Krise jagt die nächste. Da gibt es die einen, die schöne Reden halten und sich gern in der Formulierung von Zielen überbieten. Und es gibt Politiker*innen wie Olaf Scholz oder unseren Bundestagsabgeordneten Martin Rosemann, die anpacken und Probleme lösen. Für manche hat die Koalition in Baden-Württemberg Vorbildcharakter für den Bund. Nach 100 Tagen Grün-Schwarz meine ich: In diesen Zeiten können wir uns eine mut- und ambitionslose ökokonservative Stillstandspolitik à la Baden-Württemberg im Bund nicht leisten.